2. Auflage, November 2002, Novalis Verlag, 114 Seiten, 12 Euro
Veröffentlicht im Reiki-Magazin Nr. 2/2004
Mit diesem ungewöhnlichen Buch unternimmt Hergen Noordendorp den Versuch, Reiki mittels der mitteleuropäisch-anthroposophischen Begriffswelt aufzufassen und verständlich zu machen. Sicherlich wird das Usui-System oftmals von verschiedenen Reiki-Lehrern und -Praktizierenden mit esoterischen Begrifflichkeiten vermischt und verbrämt. Mit Hergen Noordendorp wendet jedoch ein profunder Kenner der Materie das Gedankengut Rudolf Steiners konsequent auf Theorie und Praxis des Usui-Systems an.
Anhand der – in ihrer Reihenfolge ein wenig umgestellten – Lebensregeln bzw. Reiki-Prinzipien versucht der Autor zu Beginn, "die ihnen zu Grunde liegenden unerlässlichen esoterischen Aspekte offen zu legen." (S. 10) Er kommt dabei zu dem Schluss: "Das strenge und immer wieder auf freiem Entschluss basierende Durchführen der Prinzipien und Übungen stellt das einzige Mittel dar, welches der Mensch hat, um sich aus der Abhängigkeit von seinem Schatten des Egoismus zu befreien. Wer nicht wenigstens als Reiki-Praktizierender die Reiki-Prinzipien zu einer täglichen Bemühung macht, der läuft Gefahr, die ihm durch Reiki verliehene Heilergabe im Sinne der ihm naturgemäß anhaftenden egoistischen Schatten zu verfälschen, zu missbrauchen und in einen Abgrund hinein zu ziehen. Reiki als übersinnliche Kraft ist neutral." (S. 19f)
Nach diesem aufrüttelnden Intro geht es weiter mit esoterischem Basiswissen, nämlich der Gliederung des Menschen in seine sinnlich-sichtbaren und übersinnlich-unsichtbaren Wesensteile, gefolgt von esoterischen und durch zahlreiche Passagen aus der Offenbarung des Johannes gestützten Ausführungen über die Chakren. Laut Autor sind die Chakren für die Reiki-Praxis "als seelische Wahrnehmung zunächst von untergeordneter Bedeutung. Die fortgesetzte Ausübung von Reiki kann aber zu ihrer allmählichen Sensibilisierung und Entwicklung führen, was beispielsweise mit der energetischen Wahrnehmung von organischen Zuständen bei einer Person einhergeht, die man gerade behandelt." (S. 39)
Danach geht es um das Verständnis der Einweihungsvorgänge. Hergen Noordendorp betrachtet dabei den Eingeweihten – analog zu christlichen oder buddhistischen Priestern – als Medium, der zur Ausübung seines Weiheamtes nicht sein Selbstbewusstsein aufgeben muss. Dabei bilden die Reiki-Prinzipien das Gegengewicht zu Versuchungen wie Stolz, Ehrgeiz und Machtstreben, denn "je weiter sich der Mensch entwickelt, desto größer können seine moralischen Verstöße gegen die Prozesse sein, die mit Weihevorgängen einhergehen, und das umso mehr, je größer sein Vermögen zur Freiheit aber auch zu deren Missbrauch geworden ist." (S. 50)
Bevor der erste Teil des Buches mit – in meinen Augen urchristlichen – Betrachtungen zum Thema Karma schließt, wendet sich der Autor den Reiki-Symbolen zu. Dieser Exkurs endet mit einem Plädoyer für eine angemessene Ehrerbietung im Umgang mit den Symbolen. Gleichzeitig fordert der Verfasser aber auch: "Man wird es ebenso zu respektieren haben, dass jemand die Reikisymbole öffentlich darstellt, wie andererseits die Haltung, mit ihnen in devot privater Weise umzugehen." (S. 54)
Nach mehr als der Hälfte des Buches beginnt der praktische Teil mit dem Üben der Reiki-Prinzipien. Leider sind sie hier nicht noch einmal aufgeführt, was zur Verwirrung von Lesern führen kann, welche die Umkehrung zu Anfang des Buches nicht mehr präsent haben. Die Lernziele und Übungen zu jedem der fünf Prinzipien werden allerdings klar vermittelt und können m.E. für jeden Praktizierenden eine starke Quelle des inneren Wachstums darstellen.
Eine Reiki-Meditation nach Rudolf Steiner ergänzt die Reiki-Praxis um eine Basis für das gelassene Üben der Prinzipien und Behandeln von Personen. Dieser mantrische Spruch wird durch apokalyptische Urbilder umfangreich gedeutet und seine sieben Sätze den Chakren, Planeten und Symbolen zugeordnet. Dabei zeigt sich eine Vertauschung der Bedeutung von Herz- und Solarplexuschakra zu den mir bekannten Chakren-Systemen.
Der dritte und letzte Teil des Buches widmet sich Reiki im kulturellen Umfeld. Über den orientalischen Ursprung des Reiki gelangt der Verfasser hin zu der Intention "Heilen als solches aus seiner bloß religiösen oder rein medizinischen Verhaftung zu befreien und in ein Heilungskunstwerk zu überführen, in dem der christliche Pfingstgeist sich mit dem alten orientalischen Geist des Reiki zu einer neuen, Menschen und Wohlergehen tragenden Kraft verschmilzt." (S. 92)
Zum Thema Reiki und Geld entwickelt der Autor die Vision, die dem Reiki innewohnende starke schöpferische Kraft als Quell einer sozialen Fantasie von Menschen zu nutzen, welche die Fortentwicklung eines Sozialsystems aus "uranischer" Konsumgesinnung zu einem solchen mit der Evolutionskraft eines "Zeus" wirken kann. (S. 98f) Für sich persönlich differenziert der Autor das Thema Geld dahingehend, dass der Prozess der Einweihung kostenlos ist, während die Dienstleistung des Seminars – ohne die verantwortliche Reiki-Lehrer keine Einweihung geben sollten – honoriert wird. (S. 106)
Nachdem er sich den heilenden Aspekten des Reiki gewidmet hat, an der er u.a. die fundamentale Bedeutung des Willens zur Gesundwerdung aufzeigt, erfolgt obige Betrachtung im letzten Kapitel "Aorim Reiki Shiki" (ARS). Dies basiert auf der Darstellung und Erläuterung der Wirkensprinzipien des Reiki wie sie Hergen Noordendorp aus anthroposophischer Beleuchtung heraus versteht und in diesem Buch darlegt.
Insgesamt handelt es sich um ein faszinierendes Werk, das sich wohltuend von der allgegenwärtigen profanen "Küchen-Esoterik" abhebt. Wer bereit ist, sich auf den wissenschaftlich-sachlich Sprachduktus des Verfassers und die komplexe Materie der mitteleuropäischen Esoterik einzulassen, vermag sicher manche Inspiration für seinen persönlichen Reiki-Weg zu erhalten.
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