Wege der Ganzwerdung

Frans Stiene: Das Herz des Reiki-Systems

Frans Stiene: Das Herz des Reiki-Systems

„Das Wahre Selbst wiederentdecken“ – so lautet der Untertitel dieses Buches. Ein hehres Ziel. Da stellt sich mir gleich die Frage: Was ist denn eigentlich das „Wahre Selbst“? Darauf möchte ich später noch zurückkommen. 
Frans Stiene ist ein bekannter Reiki-Buchautor, sein Standardwerk „Die Wurzeln des Reiki“ wurde bereits im Reiki Magazin rezensiert. Er ist international tätiger Reiki-Lehrer, der neuerdings auch auf den deutschsprachigen Reiki-Veranstaltungen immer mehr zu sehen ist.

Sein aktuelles Buch wurde nun auf Deutsch vom Holistika Verlag herausgegeben. Der Verlag um Reiki-Lehrer Oliver Drewes entwickelt sich mehr und mehr zu einem Reiki-Buchverlag. Ich bin gespannt, was demnächst noch für Bücher dort verlegt werden.

Die Gestaltung des Covers wirkt auf mich relativ dunkel, ist aber in einem wunderbaren japanischen Kalligrafie-Stil gehalten. Hier beweist der Verlag ein gutes Augenmerk für die Gestaltung.

Eher ungewöhnlich ist, dass direkt zu Anfang des Buches zahlreiche positive Meinungen zu Buch und Autor wiedergegeben sind, sogar noch vor dem Inhaltsverzeichnis. Diese Meinungen sind voller Lob über das Buch und die Arbeit des Autors. Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich klug ist, das in dieser Art und Fülle so abzudrucken – schließlich erhöht es, zumindest meine, Erwartungshaltung immens.

Gleich das erste Kapitel sagt schon im Titel, was Frans Stiene unter dem „Wahren Selbst“ versteht: „Reiki ist das Wahre Selbst“. Aber wie kann eine spirituelle Energie ein Selbst sein? Er übersetzt „Reiki“ mit „spiritueller Energie“ – und setzt dann den Begriff „Spiritualität“ mit „spiritueller Energie“ gleich. Das alles sind sehr starke Vereinfachungen, denen es in ihrer etwas übertriebenen Verallgemeinerung dadurch an Klarheit fehlt. Ist nicht die Seele oder das Wahre Selbst so viel mehr als spirituelle Energie? Natürlich kann man damit argumentieren, was der Autor auch tut, dass es letztlich keinerlei Trennung gibt und alles auch Energie oder Schwingung ist, ganz ohne Wertung. Dann würde man es aber auch so benennen. Reiki ist in uns, genauso wie um uns herum – okay. Aber genau so wenig, wie Prana oder der Heilige Geist die Seele oder das Selbst, ist Reiki dies.

Als die fünf Wegweiser zu unserem „Wahren Selbst“ benennt Stiene die Lebensregeln, Meditationstechniken, Symbole und Mantras, Reiju/Initiation/Einstimmung und Heilung durch Handauflegen. All diese Wegweiser sollen dazu führen, dass wir, ähnlich wie Usui, ein „Satori“, also ein Erwachen oder Erkenntniserlebnis erfahren. Ist im Prinzip damit nicht schon sehr viel gesagt, und könnte das Buch nicht jetzt bereits zu Ende sein? Nein, natürlich nicht. Denn Frans Stiene geht nun die einzelnen Punkte und Wegweiser noch genauer durch, und geht dabei immer wieder darauf ein, wie sie uns helfen können, unser „Wahres Selbst“ zu erkennen.

Auf Seite 70 geht es um die Übersetzung der Reiki-Lebensregeln nach Frans Stiene. Ich hätte jetzt gerne die englischsprachige Ausgabe vor mir, da ich die deutsche Übersetzung doch als etwas holprig empfinde: „Die spirituelle Medizin für die von der universellen Wahrheit verlustig Gewordenen“.

Die Lebensregeln 1 bis 3 und 5 werden von Frans so übersetzt, wie die meisten Reiki-Praktizierenden sie wohl ebenfalls kennen. Die 4. Lebensregel allerdings, sonst als „Arbeite hart“ (Arjava Petter) oder „Widme dich deinem Karma“ (Mark Hosak) oder gar „Verdiene dein Leben ehrlich“ (Hawayo Takata) übersetzt, wird hier als „Übe dies sorgfältig“ formuliert. Die Bedeutung ist mir unklar. Soll es heißen: Übe das vorher Genannte sorgfältig, also: sich nicht ärgern und nicht sorgen, und dankbar sein?

Weiter heißt es: „Usuis Lehre (Dharma) zum Heilen und Kurieren seines Wahren Selbst“ (S. 70). Jedoch: das „Wahre Selbst“ muss doch nicht geheilt oder kuriert werden! Es ist nicht krank, sondern an sich ganz. Nur nicht ganz offensichtlich, sondern etwas verdeckt. Frans Stiene beschreibt es an anderer Stelle als Licht, das von mehreren Lampenschirmen verdeckt wird. 
Im Weiteren geht es bei den Symbolen des 2. Grades immer wieder auch um die tiefere Bedeutung der dazugehörigen Mantras und die Charakteristika des jeweiligen Symbols. Außerdem spricht der Autor wichtige Themen an wie „Schutz bei Reiki“ und teilt seine Auffassung vom „Fernreiki schicken in die Vergangenheit oder Zukunft“.

Frans Stiene: Das Herz des Reiki-SystemsEin bedeutender Aspekt, der sich durch das ganze Buch zieht und dem Frans das letzte Kapitel gewidmet hat, ist die Frage: „Reiki praktizieren oder Reiki sein?“ Im Prinzip handelt ja das ganze Buch davon, dass man „zu Reiki wird“ anstatt nur Reiki zu praktizieren. Dass es kein Innen und kein Außen gibt, das voneinander getrennt ist, sondern nur ein Sein bzw. das „Wahre Selbst“. Dies zu erkennen sei möglich, so Stiene, wenn man Reiki praktiziere – und dies sei sogar der eigentliche Sinn des Reiki-Systems. 
Ich kann mit vielen der Inhalte grundsätzlich mitgehen und finde es inspirierend, dass die spirituellen Inhalte und Möglichkeiten von Reiki als ein Erkenntnisweg hier mehr im Vordergrund stehen als die „gesundheitspraktischen“ Erfolge. Die Bedeutung einer stetigen Praxis – und dies am besten täglich, um immer mehr zu sich selbst zu kommen – empfinde ich als in gelungener Weise dargestellt. Der Autor schreibt auf eine sehr angenehme Art und Weise, und mir gefallen die vielen Sinnsprüche, Gedichte und Zitate, die immer wieder in den Text eingestreut sind. Und: Als langjähriger Reiki-Praktizierender ist man eventuell selbst auch schon zu ähnlichen Erkenntnissen gekommen, dies auch ohne in Japan noch andere esoterische bzw. buddhistische Schulen besucht zu haben. Trotzdem finde ich es immer wieder erfrischend, auch bereits bekannte Inhalte nochmals in anderer Form aufbereitet zu sehen oder mit anderen Hintergründen versehen.

Hin und wieder hätte ich mir allerdings genauere oder mehr Quellenangaben gewünscht bzw. eine Schilderung des Weges, wie der Autor denn auf seine „Erkenntnisse“ gekommen ist. Was man bitte auf jeden Fall überlesen sollte, ist der Totalitätsanspruch mancher seiner Aussagen – besonders wenn Frans von der Intention Usuis spricht oder sich ganz sicher ist, was Usui mit etwas gemeint hat. Ich denke, das ist etwas, was nun wirklich niemand von uns heutigen Reiki-Praktizierenden behaupten kann, und oft schon haben sich im Nachhinein manche solcher Aussagen vor dem Hintergrund neueren Wissen auch wieder als nichtig erwiesen. Ich hätte es authentischer gefunden, wenn er bei seinen eigenen Erfahrungen und Erzählungen geblieben wäre.

Alles in allem jedoch ein schön gestaltetes, lesenswertes Buch, das sicherlich die eine oder andere Inspiration für jeden Leser bereit hält. Der Aspekt der Spirituellen Disziplin wird hier wieder mehr in den Vordergrund gestellt – was ich im Zuge der aktuellen Bestrebungen, Reiki mehr in das Gesundheitssystem eingliedern zu wollen, als sehr erfrischend und wichtig empfinde!

Einschätzung der Redaktion:
Inspirierend, teils etwas abgehoben!
Holistika Verlag, 208 Seiten, 17,95 Euro – Das Herz des Reiki-Systems: Das Wahre Selbst wiederentdecken – HIER bei Amazon

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  • Veröffentlicht in: Bücher am 4. Februar 2020
Janina Koeck

Veröffentlicht von

Janina Köck ist seit 1996 in Reiki eingeweiht und lehrt seit 2001 Reiki im Usui System. Sie ist freie Reiki-Lehrerin, in Shoden und Okuden in Jikiden Reiki eingeweiht und Karuna Reiki (R) Lehrerin. Sie schreibt die Buchrezensionen fürs Reiki-Magazin seit 2008 und ist von Beginn an Mitorganisatorin der Reiki-Convention, hat 2010 und 2011 das Reiki-Festival mitorganisiert und ist Gründungsmitglied von ProReiki. Janina lehrt Reiki in ihrer Praxis Leben in Einklang in Köln und sie steht für eine geerdete, tiefe und humorvolle Spiritualität. Offenheit für Neues aber auch eine große Liebe zu den Ursprünge des Reiki findet man bei ihr.

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