hier ne buchbesprechung:
Freiherr von Münchhausen, Marco: So zähmen Sie Ihren inneren Schweinehund: vom ärgsten Feind zum besten Freund. - Frankfurt: Campus, 2002 ISBN: 3-5933-6922-2
Jeder kennt ihn, jeder hat ihn: den inneren Schweinehund. Er sabotiert die guten Neujahrsvorsätze, er lauert in der Schreibtischablage, und er sorgt dafür, daß wir die überfällige Gehaltsverhandlung immer wieder verschieben. Viele kennen das Symptom auch als „Aufschieberitis”, die immer dann um sich greift, wenn etwas besonders wichtig ist. Was tun? Keinesfalls dagegen ankämpfen, empfehlen Experten.
Früher aufstehen, weniger überstunden machen, regelmäßig joggen, gesünder essen, weniger rauchen, Spanisch lernen, eine Gehaltserhöhung durchsetzen, einen neuen Job suchen, endlich kündigen - die Liste der guten Vorsätze ist lang. Eines haben sie gemeinsam: Sie werden aufgeschoben, vergessen, viele werden nie realisiert. Vor allem, wenn es um langfristige Verhaltensänderungen geht. „Es klappt ja doch nicht”, heißt es dann, oder: „Ich habe zu wenig Zeit”, „Das kann ich meinem Partner/meiner Partnerin nicht antun”, „Das kann noch bis nächstes Jahr warten”, oder einfach: „Ich bin gerade nicht in der richtigen Stimmung.” Die Liste der Ausreden ist genau so lang wie die der guten Vorsätze. Kurzfristig redet man sich damit froh, langfristig fühlt man sich richtig elend: „Dadurch, daß Sie sich immer wieder etwas vornehmen, es aber dann nicht tun, untergraben Sie Ihr Vertrauen zu sich selbst und erweisen sich als unzuverlässig”, warnt Hans-Werner Rückert, Diplompsychologe und Leiter der Studienberatung an der FU Berlin. Und noch mehr: „Aufschieben kann Sie Ihren Job kosten und Ihre Lebensqualität beeinträchtigen.”
„Je mehr wir uns unter Druck setzen, je weniger wir uns erlauben zu entspannen und das Leben zu genießen, desto stärker wütet der innere Schweinehund.”
Dabei will kaum jemand ernsthaft aufschieben. Es ist wie eine Falle, wie ein Zwang: „Schon wieder den inneren Schweinehund nicht überwunden! Mehr Disziplin!” - nehmen wir uns vor, und scheitern wieder. Warum? „Je mehr wir uns unter Druck setzen, je weniger wir uns erlauben zu entspannen und das Leben zu genießen, desto stärker wütet der innere Schweinehund”, erklärt Marco von Münchhausen, Autor des Ratgeberbuches „So zähmen Sie Ihren inneren Schweinehund”. Je mehr man den inneren Schweinehund bekämpfe, desto bissiger werde er. „Wir müssen lernen, mit unserem Schweinehund zu leben - ihn zu zähmen”, rät der promovierte Jurist und Verleger, der mit seinen Jura-Karteikarten schon etlichen Rechtswissenschaftlern beim überwinden ihres Lern-Schweinehundes und damit durchs Staatsexamen geholfen hat.
„Mit dem Aufschieben schützen Sie sich vor Gefühlen und Zuständen, die Sie bewußt oder unbewußt noch mehr fürchten als Ihre Unzufriedenheit während des Aufschiebens”, erklärt Psychologe Rückert. Wer seine Seminararbeiten oder seinen Projektabschluß immer erst „auf den letzten Drücker” und in einer „Nacht-und-Nebel-Aktion” fertig bekommt, der hat vielleicht eine irre Angst vorm Scheitern, weil er dazu neigt, seinen „Wert als Person mit Erfolg gleichzusetzen”. Oder er fürchtet sich vor einem Erfolg, der die Erwartung weiterer Erfolge und damit weiterer (über-)Anstrengung mit sich bringen könnte. Oder er hat ein übertrieben positives Selbstbild von sich entworfen, das angesichts seiner durchschnittlichen Ergebnisse ins Wanken geraten könnte. Dann doch lieber aufschieben. „Der große Vorteil liegt darin, daß Sie mit Ihren Vorhaben noch nicht wirklich gescheitert sind, Sie könnten noch groß rauskommen”, legt Rückert den Finger in die Wunde. „Sie schützen durch das Aufschieben also den Mythos Ihres Potentials.”
Ob Angst vor Überforderung, vor dem Scheitern oder vor Erfolg: Der innere Schweinehund ist ein Teil unserer Persönlichkeit, so Münchhausen. „Solange wir einen Teil von uns bekämpfen, bekämpfen wir uns selber. Erst wenn wir es schaffen, diesen Teil anzunehmen und zu integrieren, kommen wir weiter.”
Das ist keine neue Erkenntnis. Neu ist aber von Münchhausens Idee, eben nicht in psychologischen Fachtermini von „Abspaltung” oder „inneren Blockaden” zu sprechen, sondern einem querulantisch-sympatischen Fabelwesen die Schuld für unser „Versagen” in die Schuhe zu schieben. So wird es viel einfacher, sich das Phänomen vorzustellen und es zu verstehen. Vor allem, daß laut Münchhausen „jeder wohl einen Schweinehund hat, aber nicht mit diesem identisch ist.” Denn so wichtig es auch sei, den inneren Schweinehund zu verstehen und „ab und zu gewinnen zu lassen” - er darf nicht zum bestimmenden Moment unseres Lebens werden, warnt Münchhausen. Aber wie bekommt man ihn in den Griff? Glaubt man Münchhausen, mit einer Fünf-Schritte-Strategie:
1. Treffen Sie eine eindeutige Entscheidung.
2. Machen Sie eine klare Zielplanung.
3. Beginnen Sie mit der konkreten Ausführung.
4. Kontrollieren Sie Ihre Zwischenergebnisse.
5. Belohnen Sie sich für Ihren Erfolg.
Zugegeben, das klingt sehr einfach. Aber die fünf Schritte haben es in sich. Eine „eindeutige Entscheidung” etwa ist das Ergebnis einer Liste zum Thema „Was ich schon immer erledigen wollte”. Je länger die Liste, desto mehr Möglichkeiten, die „halbherzigen” Vorhaben ein für alle Mal zu streichen. Was übrig bleibt, kann einer Art Hochrechnung unterzogen werden: Welche Vorteile bringt es mir in einem Monat, in einem Jahr, in zehn Jahren, wenn ich mein Vorhaben endlich angehe und verwirkliche? Und welche Nachteile bringt es, wenn ich nicht handele? Wenn man dabei herausfindet, daß der eigene Arbeitgeber sich wahrscheinlich nur noch zwei Jahre am Markt halten kann, das man dann auf der Straße stehen wird mit einem Qualifikationsprofil, das nicht mehr den Anforderungen entspricht - dann ist es nicht mehr so schwer, eine eindeutige Entscheidung zu treffen: „Jetzt bilde ich mich weiter”, oder „Jetzt suche ich mir einen neuen Job.”
„Jeder hat einen Schweinehund, er ist aber nicht mit diesem identisch.”
Im nächsten Schritt geht es um die „klare Zielplanung”. Diese steht und fällt mit der Formulierung. Wer sich vornimmt: „Ich sollte mal mehr Stellenanzeigen lesen”, kann sicher sein, daß er gar nichts tun wird. Denn er hat sich nicht überlegt, wann er das tun will, wie viele Anzeigen er in welchem Medium studieren möchte, worauf er sich bewerben will und überhaupt: Weist das Wörtchen „sollte” nicht schon darauf hin, daß er etwas zwar tun soll, aber eigentlich nicht will? „Realistisch und machbar, positiv formuliert, konkret meßbar, terminiert und mit einem klaren Zielbild versehen” sollte die Zielplanung laut Münchhausen sein.
Und sie sollte echter Einsicht und freiem Willen folgen. Das Arbeitsleben schreibt schon genug Abläufe und Zwänge vor, der dem Wunsch nach Selbstbestimmung zuwiderläuft. „Sie beugen sich dem Sachzwang, aber nicht vollständig, und Sie betätigen Ihren Eigenwillen, indem Sie aufschieben”, erläutert Psychologe Hans-Werner Rückert. Wer seine Pläne wirklich in die Tat umsetzen will, sollte sich deshalb Ziele setzen, die der eigenen Persönlichkeit wie auch den eigenen Motiven entsprechen. „Persönlich angemessene Ziele berücksichtigen Ihre Eigenheiten ebenso wie Ihr persönliches Tempo und verlangen nicht, daß Sie sich über Nacht auf magische Art verwandeln”, weiß Rückert. Und sie lassen sich „in kleine, überschaubare und zeitlich begrenzte Einheiten zerlegen, die Sie dann in kleinen Schritten etappenweise angehen”, ergänzt von Münchhausen.
„Muß ich wirklich, jetzt und sofort?”
Und damit wären wir bei der „konkreten Ausführung”. Laut Münchhausen sind die entscheidenden Momente der Start und das Durchhalten in schwachen Augenblicken. „Beginnen Sie auch dann, wenn Sie meinen, ‚noch nicht so richtig in Stimmung‘ zu sein”, rät der Schweinehund-Kenner. Aktion bewirke Motivation. Wer während der Umsetzung in ein Motivationsloch bzw. in einen starken Sog hin zu seinem Fernseher, seinem Kühlschrank oder seinem neuesten Ikea-Katalog gerät, kann sich Rückert zufolge mit dieser Frage retten: „Muß ich wirklich, jetzt und sofort?” Wahrscheinlich nicht. Viel schöner sind diese Verführungen als verdiente Belohnung, später, nach getaner Arbeit.
Das „Tal der Tränen” während der Umsetzung läßt sich viel leichter durchschreiten, wenn man sich regelmäßig über das Erreichen von Etappenzielen freuen kann. Das meint Münchhausen mit „Kontrolle der Zwischenergebnisse”. Rückert kann diese Einschätzung nur bestätigen. Seiner Erfahrung nach machen besonders schöpferische Studierende Aufzeichnungen über ihren Arbeitsfortschritt, gehen diese Aufzeichnungen immer wieder durch und überwachen so die Umsetzung ihrer Pläne. Außerdem suchen sie sich „soziale Unterstützung”, weiß der Psychologe.
„Den Schweinehund zum Freund machen.”
Damit wären wir beim letzten Punkt: Dem Feiern. „Betrügen Sie sich niemals um die versprochene Belohnung, das würde Ihnen Ihr Schweinehund aufs Schwerste verübeln!” mahnt von Münchhausen. Je besser man sich für getane Arbeit belohne, desto zahmer werde der innere Schweinehund. Das sieht auch Rückert so. „Schauen Sie sich die Dinge an, die Sie bislang dann gemacht haben, wenn Sie ausgewichen sind”, rät er. Mit Freunden im Café hocken oder kochen, allein im Internet surfen oder Zeitschriften schmökern, im Technikmarkt CDs probehören oder über den Flohmarkt stromern? „Alles, was Sie gerne und häufig machen, ist als Belohnung geeignet”, unterstreicht Rückert. Für besonders hartnäckige Fälle empfiehlt er sogar „Bestrafungen”: Man könne zum Beispiel mit einem guten Freund vereinbaren, ihm sein Monatsticket für den Stadtverkehr zu schenken und nur noch mit dem Fahrrad zu fahren, wenn man das gesteckte Ziel nicht erreicht. Natürlich nur, wenn man nicht gerne Fahrrad fährt.
Von Münchhausen lehnt solche harten Methoden ab. „Den Schweinehund an die Hand nehmen, ihn zum Freund machen” - das ist für ihn der Königsweg. Und ihm keine Planungen vor die Nase setzen, die nicht mit den eigenen Interessen, Bedürfnissen und Fähigkeiten übereingehen.
quelle: www.hochschulanzeiger.de