Lieber Alrik,
vor einer Weile hab ich Dein Posting gelesen. Es hat mich tief berührt und die ganze Zeit nicht mehr losgelassen. Ganz vieles von dem, was Du beschreibst, kenn ich sehr gut, und in mir wirbelten alle möglichen Gefühle und Gedanken auf allen möglichen Ebenen herum. Ich trau mich jetzt mal, was dazu zu sagen. Wenn‘s für Dich nicht passt, dann ist's halt daneben.
Als Du Deine Karte den anderen überlassen hast, hatte ich das Gefühl, du hast dich selbst verraten und im Stich gelassen.
Ich habe das sehr oft getan in meinem Leben, und die Einsamkeit, die das zur Folge hat, ist die schlimmste und stärkste, die ich kenne.
Ich bin der Überzeugung, dass keine Macht der Welt von uns verlangt, uns selbst aufzugeben zu Gunsten anderer, es sei denn es wäre ein tiefer innerer Wunsch. Es gibt in mir etwas, das aus Liebe zu bestimmten anderen Menschen sterben würde. Ich hab das nie zugelassen, aber auch wenn es tatsächlich passiert wäre, hätte sich das nicht als Opfer angefühlt, sondern irgendwie richtig. In allen Situationen ist Geben, finde ich, nur dann angesagt, wenn es sich wirklich gut anfühlt. Ich muss mich selbst nicht verraten und aufgeben, um etwas zu geben. Ich gebe nur dann, wenn ich was habe oder wenn es mir Freude macht, dann kommt‘s von Herzen. (Ich schliesse da auch Ärzte mit ein, die mit Sicherheit viele Wiederbelebungen sein lassen würden, wenn sie spüren würden, dass derjenige nicht mehr zurückkommen will.)
Mit der Verantwortung tu ich mir auch schwer. Ich weise sie meistens von mir, weil sie mich überfordert, und begeb mich nicht in Situationen, wo ich zu viel davon habe. Das bisschen, das bleibt, kann ich gerade so hinkriegen. Eltern sind für ihre Kinder verantwortlich. Inwieweit ein Heiler für seine Klienten und deren Genesung oder Verschlimmerung verantwortlich ist, kann ich überhaupt nicht beurteilen. Ich erinnere mich an eine Geschichte, die Phyllis mal erzählt hat bei einem Treffen vor vielen Jahren. Von einer Frau, die schlimmes Asthma hatte und ganz viel Reiki wollte. Durch Reiki wurde ihr Asthma jedesmal noch schlimmer, und trotzdem wollte sie weiter Reiki. Dann ist sie gestorben. Phyllis sagte, diese Frau wollte sterben, und sie wollte Reiki, um ihr Sterben zu erleichtern.
Das ist so eine Perspektive, die ich viel zu selten zu hören bekommen habe. Eine weitere davon ist aus einem meiner Lieblingsbücher „Little Ed und seine Reise zu den Tieren der Kraft“. Little Ed‘s Lehrer stirbt, weil er ausrutscht auf dem Wasser, das Little Ed an den Baum geschüttet hat als Geschenk, und durch Little Ed‘s nicht verbunden sein und seine aufgeregten ungeduldigen Aktionen. Der Baum erschlägt ihn. Eine Situation, bei der ich meines Lebens nicht mehr froh würde. Aber die Frau seines Lehrers begrüsst ihn mit offenen Armen, tröstet ihn und sagt ihm, er hätte schon seit einer Weile diese Träume gehabt, wo der Vogel ihn in die Lüfte hob, und er hätte schon angedeutet, dass er bald in eine andere Dimension gehen würde. In dieser Perspektive war die Unachtsamkeit von Little Ed Teil des grossen Plans. Sie hat seinem Lehrer geholfen, zu sterben. Und so frag ich mich manchmal, ob all unsere Fehler und Unzulänglichkeiten das nicht auch sind.
In den Momenten, wo ich den Tod als Teil des Lebens sehen kann, und mich nicht mehr panisch im Kreis drehe, um bloss zu überleben und den Tod zu vermeiden oder meine Schuldgefühle, wird meine Überforderung kleiner.
Zu mir stehen zu lernen, meine Wünsche und Bedürfnisse auch dreisten Menschen gegenüber durchzusetzen, hat für mich in jeder einzelnen Situation bedeutet, meinem eigenen Tod ins Gesicht zu sehen. Das war eine sehr intensive Zeit. Ich bedaure fast, dass ich das jetzt kann, ohne dass es sich akut lebensbedrohlich anfühlt... denn es war ein gutes Gefühl, bereit zu sein, lieber zu sterben, als mich selbst zu verraten.
Wenn ich‘s mir andersrum angucke - jemand, der sich selbst aufgibt, um mir etwas zu geben... das fühlt sich nicht gut an, weil ich da den Druck spüre, ich müsse jetzt seine Leere füllen. Das sind so Sachen, die ich immer wieder in mir bewege... denn angenommen dieser Teil von mir, der aus Liebe für jemanden sterben würde, ohne etwas zurückzuerwarten, würde für mich sterben, dann würde ich das gar nicht annehmen können und glauben, ich müsste jetzt was geben.
Spannendes vielschichtiges Thema.
Liebe Grüsse von Sheelara
P.S. Ich hab gerade eine CD von Elton John ertauscht, und ein Refrain gefällt mir besonders gut, ich schenk ihn Dir, Alrik, für Deine Geschichte:
So spare your heart, save your soul, don't drag your love across the coals
Find your feet and your fortune can be told, release, relax, let go
and hey now, let's recover your soul
