Liebe Ulrike,
Du hast geschrieben:
„ …Ich bin ganz sicher, dass sie diese Hilfe auch selbstverständlich bekommen wird doch das Loslassen von ihrem alten Muster "Ich kann das alles alleine", bringt sie tatsächlich auch körperlich um….
…Danach müsste ich sie jetzt einfach einweihen (damit rechnet sie nicht und hat auch von sich aus nicht darum gebeten)….
Und trotzdem habe ich Widerstände, das zu tun:
…. Inwieweit werden Energien freigesetzt, mit denen sie im Augenblick nicht umgehen will (können täte sie schon)? …..
Wieweit habe ich sie zu begleiten? Wielange muss ich ihrem Selbstmord auf Raten zuschauen?
Was habe ich übersehen? Was habe ich nicht bedacht? Wie kann ich das noch sehen (außer als Lernerfahrung - danke, tu ich!)? Was könnte hier unterstützen? Wie geht ihr (MeisterInnen) mit solchen Situationen um? Was erwartet ihr (SchülerInnen) euch in solchen Situationen von euren MeisterInnen?“
Ich als Schülerin würde in der Situation von meiner Lehrerin erwarten, dass sie mich los lässt, ohne fallen zu lassen. – Vertrauen in meine Fähigkeiten wäre schön und wenn sie an mich glaubt. Nach Möglichkeit erkennen, was mit mir los ist und deeskalierend wirken, mir aber meine Verantwortung lassen. Mich fördern und herausfordern ohne zu überfordern.
Ich würde als Lehrerin vermeiden, die Einweihung in einer solchen Situation anzubieten, denn dann besteht die Gefahr, dass die Schülerin sie für mich machen will oder aus dem Loslassen alter Muster auch wieder einen Leistungstrip macht.
Wenn Deine Schülerin sehr auf dem Leistungstrip ist und alles alleine schaffen will, hat sie bestimmt einen guten Grund dafür, der in ihrer Vergangenheit liegt. Es ist eine überholte Überlebensstrategie, die auch gewürdigt werden will. Dann verknüpft sie womöglich noch ihre Existenzberechtigung mit einem gewissen Leistungsspektrum. Zu schnell geschieht es, da noch Öl ins Feuer zu gießen, indem man immer wieder darauf hinweist, wie überaltet dieses Muster ist. – Die Frage ist auch, wem will sie etwas beweisen? Sich selber oder den Menschen, mit denen sie zu tun hat?
Natürlich ist es sinnvoll, das in einer Therapie zu bearbeiten, wenn diese so gestaltet ist, dass sie den Druck nehmen kann. Es ist aber auch wichtig, dass jemand ebenfalls von seinen Bezugspersonen verstanden und entlastet wird, wenn die dazu in der Lage sind.
Ich habe dieses Muster auch sehr stark verinnerlicht und spreche aus eigener Erfahrung: Es ist unglaublich schwer das aufzulösen, wenn man sich gleichzeitig total blöd fühlt, es überhaupt zu haben. Da beißt sich die Katze selbst in den Schwanz. Wo kommt da noch die gewohnte Anerkennung her? Stattdessen schaut man sich selber dabei zu, wie man sich zugrunde richtet.
Das scheint dann so falsch zu sein. Es macht üble Schuldgefühle, wenn man unter anderem auch dadurch krank geworden ist. Dabei ist es normal, dass ein Mensch in der Wüste z. B. solche Selbstverleugnung übt, bis er sich an den Rand der „Wüste“ geschleppt hat, weil für das pure Überleben dann manches geopfert werden muss. Ist er da raus, sollte er allerdings schon in die Lage kommen, nach angemessener Erholungspause, dies zu verändern und das ist nun mal schwer.
Hier kommt wieder eine existentielle Frage: Was ist überhaupt los? - Ist Deine Schülerin schon aus der Wüste raus, so dass sie nun umlernen kann oder sitzt sie innerlich noch auf dem Trockenen? Vielleicht verschwindet das Muster von allein, wenn das Ganze anders angegangen wird?
Daran in erster Linie zu
arbeiten ist verflixt anstrengend, denn:
1. muss man anerkennen, dass die Messlatte zu hoch gesetzt ist: Das löst unweigerlich Versagensgefühle, Verlustängste und Schuldgefühle aus.
2. muss man erkennen, dass man auch nur ein normaler Mensch ist, der mit Wasser kocht.
3. muss man es schaffen, dies dennoch als Überlebensstrategie zu würdigen und Mitgefühl mit dem einsamen Kämpfer in sich zu entwickeln
4. muss man sich gegen die Familientradition stellen, am besten konstruktiv
5. muss man aus der Hierarchie aussteigen, die auf diesen Leistungen gegründet ist und diesbezügliche Ziele aufgeben.
6. …..und noch viele individuelle Assoziationen, die jeder mit „es alleine schaffen“ verknüpft.
Das ist also eine enorme Leistung, die da jemand vollbringen muss. Das dauert lange und sollte sanft erfolgen, denn meist hat sich die ganze Persönlichkeit um einen solchen Glaubenssatz herumgruppiert. – Wer mit sich selber da zu hart ins Gericht geht, riskiert den Zusammenbruch und tut das hinterher auch anderen an.
Wenn die Wüste aber bewässert wird, lösen sich solche Verhaltensmuster als Nebeneffekt gleich mit auf, langsam natürlich. – Wie das individuell aussieht, muss jeder für sich selbst herausfinden. – Das fängt am besten mit dem inneren Freispruch an. Es gibt ja auch äußere Faktoren, die in eine solche Haltung bringen. Ich bin nur für meinen Anteil verantwortlich.
Liebe Grüße
Tautropfen

Es ist genug da für die Bedürfnisse aller, aber nicht für die Gier auch nur eines Einzigen. - Mahatma Gandhi